Schleswig-Holstein plant, im Jahr 2031 das Radio abzuschalten. So berichtet u.a. Heise.
„Ach was, die schalten doch nur FM-UKW-Radio ab. Es bleibt doch DAB+. Diese Überschrift ist doch billiger Click-Bait“, könnte man sagen. Doch schauen wir einmal in die Realität.
DAB+ ist der digitale Nachfolger vom Nachfolger vom analogen FM-Rundfunk. Aufgrund zahlreicher technischer Unzulänglichkeiten und der schlechten Erfahrungen mit DAB hat sich dies nie flächendeckend durchgesetzt. Selbst moderne Smartphones kommen oft mit einem einfachen FM-UKW-Empfänger daher, während DAB+ eine reine Nischenlösung blieb.
Gerade mir, der ich Digitalfunk-Enthusiast bin und im Amateurfunk selten FM-Analogfunk betreibe, kann man wahrlich nicht vorwerfen, ein Verfechter antiquierter FM-Technik zu sein. Aber ich bin beruflich eben auch viel mit Risikobewertung und -vermeidung, Machbarkeitsanalysen und Kosten/Nutzen-Abwägungen beschäftigt. Und unter den Gesichtspunkten ist DAB+ einfach ein No-Go.
Problem 1: Mobiler Betrieb
Der Hauptgrund, warum DAB+ keine Chance gegen FM hat, ist vor allem die Unvereinbarkeit mit mobilem Betrieb. Abgesehen davon, dass FM-Geräte nur einen Bruchteil der Energie für den Betrieb benötigen, sodass batteriebetriebene FM-Radios Tage, DAB+-Geräte jedoch nur Stunden durchhalten, benötigt man für den DAB+-Empfang kontinuierlichen störungsfreien Empfang. Während ein Tunnel oder eine Häuserschlucht bei FM-Radios zu kurzzeitigem Rauschen bei nach wie vor möglicher Verständlichkeit führen, bricht das DAB+-Radio komplett zusammen und muss sich danach relativ zeitaufwendig neu auf den Sender einstellen. Ständige Komplettaussetzer sind die Regel.
Problem 2: Nachhaltigkeit
DAB+ ist nach DAB bereits der zweite Digitalstandard innerhalb kurzer Zeit. Wer sich damals an DAB gewagt hat, sitzt nun auf Elektroschrott. Über DAB+ schwebt ständig das Damoklesschwert, dass sehr teure Geräte wie Einbauradios für das Auto oder Komponenten von hochwertigen Hi-Fi-Anlagen durch politische Entscheidungen zu sehr teuren Briefbeschwerern werden. UKW-Radios zu erwerben, war hingegen bis jetzt nie eine Fehlentscheidung. Davon ab, dass es eine Sünde für die Umwelt ist, muss auch das Portemonnaie der Verbraucher einen ständigen Wechsel auf den „neuesten heißen Scheiß“ möglich machen. Wer weiß, was 2031 für ein Standard aktuell ist? DAB+2? DAB IV?
Problem 3: Komplexität
Einen FM-UKW-Sender hat vor ein paar Jahren vor dem rasanten Bildungsverfall (s. „Pisa“) in diesem Land noch jeder Abiturient aus Elektronikbauteilen selbst zusammenbauen können. Funktionierende FM-Radios gibt es im 1€-Shop, sogar mit Stereo. DAB+-Radios sind immens komplex und kosten entsprechend auch recht viel Geld. Sie sind aufgrund der hohen Komplexität auch nicht nebenbei in andere Geräte wie Smartphones zu integrieren. Auch die Bedienung eines FM-Radios ist hochtrivial und kann so u.a. gefahrlos am Steuer stattfinden, während die Bedienung eines DAB+-Radios mitunter kompliziert sein kann, gerade bei wechselnden Empfangsgebieten, und daher während der Fahrt teilweise verboten ist.
Problem 4: Fehlende Zielgruppe
Aufgrund der zuvor genannten Nachteile kommen also nur stationäre und relativ teure DAB+-Geräte infrage. Also die Verwendung zu Hause oder im Büro. Doch gerade hier stehen weit attraktivere Dienste zur Verfügung: Von On-Demand-Streaming-Diensten wie dem Platzhirsch Spotify bis zum kostenfreien Internetradio. Und dies funktioniert auch, wenn DAB+ durch den nächsten Standard abgelöst wird, noch zuverlässig, zumal das Angebot um Welten größer ist als die spärliche DAB+-Auswahl. Kurioserweise werden im DAB+ sogar Internet-Radio-Sender ausgestrahlt. Es wird also über die Luftschnittstelle eine Referenz auf eine Internet-Radio-Quelle ausgestrahlt, sodass das Radio dann via Internet streamt. Noch nie hat man es komplizierter gestaltet, Internet-Radio zu hören, als via DAB+. Entsprechend sind Nutzer, die stationär Radio hören möchten, dringend beraten, kein DAB+ zu verwenden, sondern zu streamen.
Problem 5: Krisensicherheit
Deutschland ist kein sicheres und wohlhabendes Land mehr. Jahrzehnte der Vernachlässigung lebenswichtiger Infrastruktur haben das Land anfällig für Katastrophen werden lassen. Während etwa früher bei Regen das Wasser in den Gulli und über die Kanalisation abfloss, sind heute die Gullis verstopft und die Kanalisationen überfordert, sodass schon bei mäßigen Wettereignissen mit Überschwemmungen zu rechnen ist. Und auch die Notfall-Infrastruktur ist quasi nicht existent, was u.a. die desaströsen „Warntage“ und die ständigen Hilferufe der Freiwilligen Feuerwehren eindrücklich beweisen. Spätestens aus dem Ahrtal hat man gelernt, dass der Staat weder eine Kommunikationsinfrastruktur noch eine Krisenbewältigung auf die Beine bekommen kann, sodass Notfallkommunikation durch Amateure und die Krisenbewältigung durch die umliegenden Bauern und andere private Helfer geleistet werden musste. Staatliche Dienste wie THW und Feuerwehr kamen viel zu spät und haben die privaten Helfer eher behindert als unterstützt. Tage- bis wochenlang waren Mobil- und Festnetztelefonie ausgefallen, Notfunk konnte mangels Vorbereitung nur höchst mangelhaft betrieben werden. Entsprechend ist es eine erneute fatale Entwicklung, mit dem FM-Rundfunk eine der letzten (wenn nicht die letzte) funktionierenden unidirektionalen Kommunikationsinfrastrukturen einzustampfen. Denn im Krisenfall werden weder die überkomplexen und reichweiteschwachen DAB+-Sender noch die teuren und energiehungrigen DAB+-Empfänger funktionieren. Ein batteriebetriebenes FM-Radio wird jeder irgendwo herumfliegen haben, vielleicht sogar eines mit Kurbel. Sie eignen sich also hervorragend für die Krisenkommunikation. DAB+ erfüllt die Ansprüche an eine verfügbare und verlässliche Infrastruktur in keinster Weise.
[Nachtrag:] Problem 6: Weltweite Einheitlichkeit
Während FM-Radio auf der ganzen Welt auf nahezu den gleichen Frequenzen empfangbar ist, ist DAB+ eine Insellösung, die nicht einmal in ganz Europa, geschweige denn weltweit verwendet wird. In den USA etwa wird HDRadio verwendet und in Kanada wurde DAB wieder abgeschafft. Je nachdem, in welchem Land man Radio empfangen möchte, müsste man also einen anderen Radio-Standard anschaffen.
Fazit
Da DAB+ also kein sinnvoller Nachfolger von FM-Radio ist, da es im mobilen Betrieb zahlreiche Nachteile hat und im stationären Betrieb sowohl in den Kosten als auch in der Leistung weit hinter verfügbaren Diensten wie Streaming hinterherhinkt, ist das Radio damit begraben und verfällt zu einer Nischenanwendung. Schon jetzt beschränkt sich der Nutzerkreis von Radio auf Autofahrer, Werkstätten und Rentner. Zudem war FM eine wichtige Säule der Katastrophenvorsorge, was DAB+ nicht leisten kann. Es ist wohl absehbar, dass es durch die Abschaltung von FM in Zukunft das Radio nahezu vollständig aus der Welt verschwindet.